Weil mein Bergpartner abgesagt hatte, war ich Ende August 2014 einige Tage solo in einem Gebiet unterwegs, das ich bis dahin nicht kannte – hatte aber schon öfters davon gehört und gelesen: das Aostatal. Es befindet sich auf der italienischen Südseite der Westalpen so ungefähr im inneren Knick, an dem sich der Alpenhauptkamm nach Süden wendet. Von Italien aus erreicht man das Tal von Turin. Von Deutschland fährt man mit dem Auto am besten durch die Schweiz, macht dabei vielleicht einen Abstecher zum Genfer See, dann über Martigny und überquert die Alpen über den großen Saint- Bernhard-Pass. An diesem Pass sollte man schon eine kleine Pause einlegen, denn der 2469 m hohe Pass an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien ist schon zu Zeiten des Römischen Reichs her bekannt und war ein bedeutender Nord-Süd-Übergang. Weiterhin ist er bekannt, durch die dort gezüchtete Hunderasse. Nach 32 km Fahrt bergab mit einem Höhenabfall von ca. 2000 m gelangt man dann in die Stadt Aosta, dem Zentrum des nach ihr genannten Tals. Die Stadt ist einwohnermäßig etwa so groß wie Altenburg. Für Freunde des römischen Altertums gibt es noch viel Historisches aus der Römerzeit zu besichtigen. Das tat ich dann an einem der nächsten Tage per Stadtrundfahrt. Die ersten Tage hatte ich etwas außerhalb in einem relativ preiswerten Hotel übernachtet. Obwohl man hier in Italien ist, kann man sich auch in der zweiten Amtssprache Französisch verständigen, das Tal hat auch eine französische Tradition, außerdem ist Frankreich mit dem Mont Blanc nicht weit. Das letzte Mal, als ich soweit östlich in den Alpen unterwegs war, war 1993 mit Mitgliedern des Alpenvereins Karl-Heinz-Klement, Rainer Bauch und Dirk Hoffmann und 1994, als ich den höchsten Berg der Alpen mit einem Bergfreund Burki aus Eichwalde (Brandenburg) bestiegen hatte.
Die südliche Begrenzung von Aosta bildet das dominante Bergmassiv des Monte Emilius, ein 3559 m hoher Berg, den ich mir diesmal vorgenommen hatte. Der Berg ist deshalb so interessant, weil man vom Gipfel aus aber auch schon auf den Weg dahin den Blick auf 2 bedeutende und jedermann bekannte Berge hat, auf den Mont Blanc und das in Italien Monte Cervino genannte Matterhorn in den Walliser Alpen. Die Berge sind vom Monte Emilius etwa 40-45 km Luftlinie entfernt. Den Aufstieg zum Gipfel kann man z.B. von der Station des Sessellifts Chamolé beginnen. Dieser wird sommers für Abfahrten mit dem Mountainbike in einem attraktiven Downhill-Parkur genutzt. Ausgangshöhe 2318 m. Dann weiter über die Hütte Rifugio Arbole. Diese Variante wählte ich beim ersten Besteigungsversuch, hatte die Tour aber 300 m unterm Gipfel abgebrochen, weil ich am Morgen zu spät gestartet war und mir Absteigende von einem in der Ferne aufziehenden Gewitter berichteten, was mich verunsicherte. Es kam dann zwar kein Gewitter, aber die Entscheidung, umzukehren, war richtig. Ich musste noch bis 1800 m absteigen, weil der Sessellift nicht mehr im Betrieb war.
Meinen zweiten Versuch zwei Tage später plante ich etwas vorsichtiger. Am Tag vor dem Aufstieg stieg ich in die sehr schöne, private Hütte Rifugio Arbole auf und nächtige dort. Von Chamolé aus bis zur Hütte benötigte ich 2 h. Ich kannte den Weg ja schon. Den Abend genoss ich noch in aller Gemütlichkeit in der sehr geschmackvollen Unterkunft, die aber fast leer war. 3 Besucher waren zunächst anwesend. Umso überraschender war ich, als eine kleine Gruppe junger Leute erschien, ihre Musikinstrumente aufbauten und konzertante und frei improvisierte Musik spielte. Draußen waren anfangs noch beeindruckende Wolkenformationen bis ins Tal zu bewundern, die aber Wetterwechsel einleiteten. Also hatte ich bei Abendbrot und Wein auch noch gratis einen musikalischen Ausklang.
Früh, eine Stunde vor Morgengrauen startete ich von der Hütte aus. Der Weg verzweigt sich nach der Hälfte des Wegs in zwei Varianten, einen Klettersteig mit der Schwierigkeit D, einem Grat folgend, und dem Normalweg über Blöcke und markante Zwischenfelsen Tres Capuchini UIAA I bzw. T3 nach Schweizer Hiking Skala. Ich stieg wieder den Normalweg und orientierte mich beim schwach markierten Aufstieg am Felsgrat. Die Aufstiegszeit war ab Hütte mit 3,5 h angegeben. Ich war in 5 h auf dem Gipfel. An diesem Tag hatte der Wetterbericht vorausgesagt, dass sich der Berg ab Mittag zuziehen sollte. Ich hielt mich also auf dem Gipfel mit Kreuz und Madonna nicht sehr lange auf, denn man konnte eine von Westen herannahende und sich senkende Wolkenfront ausmachen. Ich hatte es gerade so abgepasst, fast mit gleicher Geschwindigkeit, mit der ich abstieg, folgten über mir Nebel. Sobald der Nebel mich einschließen würde, bestand die Gefahr, den sonst gut einsehbaren Abstieg zu verfehlen. Ich hatte Glück und kam auf dem weiter unten markanten Wanderweg noch bei Sicht an. Die Hütte zu erreichen war schließlich kein Problem mehr.
An zwei weiteren Tagen erkundete ich noch den südlich des Aostatals angrenzenden Nationalpark Gran Paradiso. Als Unterkunft diente mir ein Berggasthof im Ort Aymavilles eingangs des Cognetals, eines der im Süden verlaufenden 3 Haupttäler.
Vom Ort Cogne unternahm ich ein Halbtageswanderung hoch in eine verlassene Hüttensiedlung (Les Ors desous) mit schönen Ausblick ins Tal. Am zweiten Tag fuhr ich mit dem Auto ins parallele Valsavarenche-Tal in das Bergdorf Valsavarenche. Von da aus startete ich eine Wanderung zunächst in den oberen Ortsteil Pont, anschliessend hoch zur Hütte Vittorio Emanuele II des italienischen Alpenvereins auf einer Höhe von 2732 m. Die Hütte war sehr belebt und ist sehr beliebt, denn sie ist die Ausgangshütte zum Berg Gran Paradiso, der mit 4062 m als der leichtest ersteigbare 4000er der Alpen gilt. Die Hütte erreicht man nach 2 ½ h.
Während meines Aostatal-Aufenthalts besuchte bzw. erwanderte ich noch weitere interessante Sehenswürdigkeiten, z.B. die beeindruckende Brücke von Introd oder das intakte römische Viadukt Pont D’Ael bei Aymaville sowie Seitentäler des Aostatals.
Edgar Nönnig